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Zukunft urbaner Mobilität: Vermietung von E-Scootern - Sondernutzung oder Gemeingebrauch
 

 Seit Juni 2019 erscheinen immer mehr sogenannte Elektrokleinstfahrzeuge - also E-Roller, E-Bikes und E-Scooter - in Städten und Gemeinden. Ausgehend von dem Fahrradverleihsystem haben sich auch Vermieter von E-Scootern etabliert. Sharingsysteme umfassen auch PKW und LKW.

Das stationsunabhängige System (free-floating) funktioniert umso besser, je mehr Scooter, Roller oder Bikes im Stadtgebiet verstreut sind, so dass diese ohne langen Zuweg nutzbar sind. Ungewünschte Folge sind scheinbar sinnlos abgestellte Scooter, die das Stadtbild verschandeln und schlimmstenfalls als Stolperfalle dienen können. Es tun sich im Meinungsstreit Welten auf zwischen Befürwortern und Nutzern der neuen Mobilität und Menschen, die mit Unverständnis und Staunen diese Entwicklung ablehnen.

Haben Städte und Gemeinden zunächst mit Selbstverpflichtungen der Anbieter von Mietfahrzeugen gearbeitet, um Regeln für die Nutzung aufzustellen - vgl. Selbstverpflichtungserklärung Stuttgart vgl. Selbstverpflichtungserklärung Stuttgart - werden seit einer Entscheidung des OVG Münster 11 B 1459/20 vom 20.11.2020 zu Mietfahrrädern diese immer mehr als Sondernutzung angesehen. Folge ist nicht nur die Erhebung von Gebühren und Beauflagung zur Regulierung, sondern auch die Möglichkeit der Untersagung der Vermietung, obwohl die Rechtslage nicht geklärt ist.

  

1. E-Mobilität, Mobilitätswende und Auswirkungen
 

E-Scooter prägen das Bild vieler europäische Städte seit Jahren. Erklärtes Ziel der Mobilitätswende ist es, den PKW-Verkehr, der auf der Nutzung fossiler Brennstoffe beruht, zum Schutz des Klimas unter Förderung der E-Mobilität, des öffentlichen Nahverkehrs und des Fahrradverkehrs gesetzlich zum Beispiel durch die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung oder das Carsharinggesetz in Städten und Gemeinden zurückzudrängen. Nur gibt es in vielen Kommunen hierfür noch keine geeignete Infrastruktur. Die Beengtheit führt zu einem Konkurrenzkampf zwischen Fahrradfahrern einschließlich E-Fahrzeugen, Autofahrern und Fußgängern. Es fehlt nicht nur an geeigneten Radwegen, sondern auch an Verkehrsregeln, die den zunehmenden Verkehr von Radfahrer (incl. E-Fahrzeuge) sicher auch gegenüber Fußgängern lenken könnte. Dieser Verkehr hat nicht nur zahlenmäßig zugenommen, auch die Geschwindigkeit und Bauart der Fahrzeuge hat sich verändert. Geschwindigkeiten von 30 - 40 km/h sind keine Ausnahme. 

Nun kamen mit dem stationunabhängigen Mietverleih abgestellte Scooter und Bikes hinzu. Letztere finden sich nicht wie gewohnt abgestellt in Fahrradständern, sondern planlos am Fußweg. Teilweise werden sie unvernünftig platziert und können als Stolperfallen dienen. So ist es kein Wunder, dass Bürger zu Recht eine Regulierung fordern. Hier stellt sich die Frage, ob die Qualifizierung des Mietverleihs als Sondernutzung der richtige Weg ist.  

 

2. Änderung des Berliner Straßengesetzes mit Wirkung zum 01.09.2022 und einschränkende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 01.08.2022
 
In Anbetracht der rechtlichen Probleme bei Einordnung der Sharingsysteme als Sondernutzung hat der Berliner Senat beschlossen, durch Einführung des§ 11 a Straßengesetz - „Sondernutzung für das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen“ - Rechtssicherheit im Erlaubnis- und Auswahlverfahren zu schaffen. Sharinganbieter wurden von der Verwaltung aufgefordert, eine Erlaubnis zu beantragen. Prompt - noch vor Inkrafttreten - beantragte ein Carsharinganbieter, der stationsungebunden PKW vermietet, im Eilverfahren beim Verwaltungsgericht die Feststellung, dass das von ihm angebotene Carsharing nicht dem Berliner Straßengesetz unterfällt, also keine Sondernutzung darstellt. Er bekam Recht, vgl. VG Berlin, Beschluss vom 01.08.2022 - 1 L 193/22. 

Das Gericht stellt zunächst fest, dass das Gesetz keine Festlegung trifft, dass das stationsungebundene Carsharing eine Sondernutzung ist. Die zitierte Gesetzesbegründung beschreibt, wie unsicher die Rechtslage ist. 

 "Wenn im Ergebnis auch Überwiegendes dafür spricht, dass es sich bei den Angeboten von Mietfahrrädern und E-Scootern und in gleicher Weise auch von Carsharingfahrzeugen um eine Sondernutzung handelt, so obliegt diese Zuordnung jedenfalls dann nicht der Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers, wenn der Bundesgesetzgeber dies bundesrechtlich bereits dem Gemeingebrauch zugeordnet haben sollte. In diesem Fall sind die Regelungen des § 11a nur auf die verbleibenden Sondernutzungstatbestände anwendbar. Ist dies jedoch nicht der Fall, überlässt der Bundesgesetzgeber die Regelung den Ländern oder weist er ihnen diese Materie ausdrücklich zu, so finden auch die in diesem Gesetz bereits getroffenen Regelungen insoweit Anwendung. Daher steht die Anwendungsbreite der Regelung des Sondernutzungsregimes in diesem Gesetz unter dem Vorbehalt einer möglichen anderweitigen - ggf. auch künftigen - Regelung durch das Bundesrecht. Der Wortlaut der Regelung ist insoweit offen gehalten."                                                  (Abgh-Drs. 18/3823, S. 15)

 Deutlich wird, dass die Länder an die Festlegungen des Bundes gebunden sind. Zur Bestimmung des Gemeingebrauchs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Bundesrecht heranzuziehen, also das Fernstraßengesetz, das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung, vgl. Rn 24.

Auch das Parken von Kraftfahrzeugen, das § 12 Abs. 2 StVO regelt, ist Verkehr (ruhender Verkehr) und setzt als vorübergehende Unterbrechung des fließenden Verkehrs lediglich voraus, dass das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen und betriebsbereit ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht das Abstellen von Mietwagen auf öffentlichen Straßen dem erlaubnisfreien Gemeingebrauch zugeordnet, vgl. Urteil vom 3. Juni 1982 - BVerwG7 C 73.79.

Das Verwaltungsgericht Berlin überträgt diese Rechtsprechung auf Carsharingfahrzeuge und setzt sich hierbei auch mit der Entscheidung des OVG Münster vom 20.11.2020 zu Mietfahrrädern auseinander.

 Das OVG Münster beurteilte das Geschäftsmodell eines Fahrradverleihers. Die Anmietung eines Fahrrads wird durch Eintippen der auf beiden Seiten des Fahrrads angegebenen Radnummer in die geöffnete App auf dem Smartphone vorgenommen. Man erhält sodann einen Öffnungscode, der in das Display des Fahrrads einzugeben ist, wodurch dessen Entriegelung erfolgt. Das OVG sieht demnach den überwiegenden Zweck der abgestellten Fahrräder als andauernde Aufforderung zum Abschluss eines Mietvertrags: „Entscheidend ist, dass das konkret-gegenständlich im öffentlichen Straßenraum abgestellte Fahrrad unentbehrlich ist für den Abschluss des ihn betreffenden Mietvertrags. Dieser kann überhaupt nur zustande kommen, wenn die entsprechende „Hardware“ - das Mietfahrrad mit Radnummer und bedienbarem Display – und die notwendige „Software“ - der mittels der „Call a Bike“-App oder fernmündlich per Handy übermittelte Öffnungscode - unmittelbar zur Hand sind.

 Anders zu beurteilen ist das Carsharing-Angebot des Antragstellers. Das VG Berlin führt aus: „Auch aus der Art und Weise des Vertragsschlusses über die Anmietung von Carsharingfahrzeugen lässt sich kein überwiegender gewerblicher Zweck herleiten. Der Mietvertrag über die Nutzung von stationsunabhängigen Carsharingfahrzeugen kommt über die Handy-App des Carsharinganbieters zustande, indem der Kunde sich in der App ein verfügbares Fahrzeug in seiner Nähe anzeigen lässt, es daraufhin reservieren und sodann nutzen kann. Dieser Vorgang kann an einem beliebigen Standort erfolgen. Dass der Mietvertragsschluss nicht im öffentlichen Straßenraum stattfindet, weil Kunden zuerst das Fahrzeug reservieren und sich dann zu diesem begeben, dürfte in der Praxis sogar den Regelfall darstellen. Damit wird aber die Gewerbefläche für den Mietvertragsschluss räumlich nicht auf Flächen des öffentlichen Straßenraums verlagert. Dem parkenden Fahrzeug selbst kommt im Übrigen kein eigener rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu (Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 559; Kaufmann, NVwZ 2021, 745, 748)“ ,vgl. Rn 24 unten.

 Gleichwohl wollte und musste das VG Berlin diese Entscheidung nicht auf E-Scooter oder Bikes ausdehnen. Es hebt hervor, dass es sich bei den Mietfahrzeugen um Serienmodelle handelt, die sich nicht von anderen PKW unterscheiden und ein Regulierungsbedürfnis fehlt, da der Abstellvorgang stattfindet wie bei privat genutzten Autos und insofern keine Stolperrisiko für Fußgänger besteht., vgl. Rn 25.

 3. Rechtliche Einschätzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung
 

Der Wissenschaftliche Dienst des Dt. Bundestags hat sich in seiner Ausarbeitung vom 06.04.2020 bei der Überprüfung der Frage, ob der Scooter-Verleih dem Gemeingebrauch oder der Sondernutzung unterfällt, der Entscheidung des OVG Hamburg aus dem Jahr 2009 angeschlossen, welches ausführte: "Solange ein öffentlicher Weg zum Zwecke des Verkehrs genutzt wird, ist es für die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit und damit für den Gemeingebrauch ohne Bedeutung, ob dieser aus privaten oder geschäftlichen Gründen genutzt wird." Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags betont, die Nutzung eines gewerblichen unterscheide sich kaum von der Nutzung des eigenen E-Scooters.

Grundlegend für die Beurteilung ist das Urteil vom 03.06.1982 - BVerwG7 C 73.79

Das BVerwG beschreibt Argumente für die Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung. Es hebt hervor, welche Argumente gerade nicht für eine Sondernutzung beachtlich sind: 

Kein Unterscheidungsmerkmal ist, durch wen die (Wieder-)Inbetriebnahme erfolgt (Anbieter oder Kunde, Fahrzeughalter oder andere Person).
 Unbeachtlich ist, dass der Betreiber den öffentlichen Verkehrsraum wie einen Lagerplatz für eine Ware benutzt, die er vermieten will, solange es sich dabei um zum Verkehr zugelassenes und betriebsbereites Kraftfahrzeug handelt und die jederzeitige Inbetriebnahme objektiv möglich ist.


Argument für die Qualifizierung als Sondernutzung ist nicht, dass der Betreiber die Straße in verkehrsfremder Weise als erweiterte Betriebsfläche in Anspruch nimmt, da es für den Gemeingebrauch ohne Bedeutung ist, ob die Straße aus privaten oder geschäftlichen Zwecken genutzt wird.
Maßgelblich für Qualifizierung als erlaubnisfreier Gemeingebrauch ist allein, dass die Straße zum Zwecke des(fließenden oder vorübergehenden ruhenden) Verkehrs genutzt wird. Entscheidend ist insofern, dass der Nutzer die Inbetriebnahme zum Verkehr gerade beabsichtigt. Die Nutzung kann dabei durchaus mehrere Zwecke haben. maßgeblich ist der überwiegende Zweck (Schwerpunkt) der Nutzung. 

 Auch das OVG Münster folgt grundsätzlich dieser Einordnung, wertet aber den Anmietungsvorgang als Schwerpunkt der Nutzung. Es geht dabei davon aus, dass die Mietfahrräder länger abgestellt sind und als Offerte zum Anschluss eines Mietvertrages dienen ähnlich Warenautomaten.

  Das OVG Münster sieht sich damit nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerwG. da es in seiner Entscheidung davon ausgeht. dass der BVerwG in der heutigen digitalen Zeit möglicherweise anders entschieden hätte, indem es das .analoge Pendant zum Mietvertragsabschluss via Handy-App betrachtet hätte. Dabei unterstellt das OVG Münster den Warenautomaten als "analoges" Gegenstück, dem jeglicher Verkehrszweck fehlt und schließt daraus auch für das Abstellen von Mietfahrräder im öffentlichen Straßenraum als Sondernutzung.

  4. Regelungsbedürfnis und rechtliche Rahmenbedingungen
 

Konsens besteht in der Zurückdrängung des auf fossilen Brennstoffen basierenden PKW-Verkehrs zu Gunsten anderer Verkehrsformen, auch zu Gunsten der Elektromobilität. Allein gibt es für diesen Verkehr noch unzureichende Infrastruktur und unzureichende Verkehrsregeln.

Nach der Entscheidung des OVG Münster vom 20.11.2020 nehmen die Kommunen immer mehr Abstand von dem Modell der Selbstverpflichtung, da dieses nicht ausreichen würde, und behandeln Sharingsysteme als Sondernutzung. Sondernutzungsregelungen seien das unverzichtbare Instrument. Mit Sondernutzungsregelungen könnten endlich klare und verbindliche Regeln aufgestellt werden, argumentieren die Befürworter. Für die Vermietung von E-Scootern müssen Anbieter eine eigene Erlaubnis beantragen, alle kommunalen Vorgaben erfüllen und entsprechend festgelegte Gebühren entrichten – sonst würde eine Erlaubnis nicht erteilt werden.

 Nach der oben beschriebenen Rechtsprechung ist dies rechtlich der falsche Weg. Die offensichtlich bestehende Notwendigkeit, die neuen Verkehre zu regeln, rechtfertigt nicht eine Umdeutung des bundesrechtlich festgeschriebenen Gemeingebrauchs. Straßen und Wege sind dem erlaubnisfreien Gemeingebrauch eröffnet, um den Verkehr zu fördern. E-Mobilität fördert unzweifelhaft auch in Form von Sharingsystemen den Verkehr. Insofern ist die Ausweitung der Definition der Sondernutzung, um diesen Verkehr auszubremsen, das falsche Mittel. An erster Stelle ist der Bundesgesetzgeber in der Pflicht, Verkehrsregeln auch für die neuen Verkehre in der Straßenverkehrsordnung festzulegen. Bis dies geschieht, sind individuelle Regelungen notwendig. Auch die Anpassung der Infrastruktur darf nicht weiter hinausgeschoben werden.

  

Rechtsanwalt Josef Fassl

Magdeburg, 05.09.2022

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